Yad Vashem – widersprüchliche Gefühle in der Holocaust-Gedenkstätte
20 01 2012Der Besuch von Yad Vashem war etwas, was ich unbedingt in Jerusalem machen wollte und es hat sich wirklich gelohnt. Die Ausstellung ist hervorragend und das ganze Areal so groß (mit Skulpturgärten u.Ä.), dass man locker Tage darin verbringen kann. Ich war “nur” drei oder vier Stunden in der Ausstellung und hätte noch viel mehr Zeit gebraucht, um mir alles anzusehen, aber es waren einfach zu viele Eindrücke und Informationen, in meinem Kopf ging gar nichts mehr. Ideal wäre es gewesen, zwei oder sogar drei Tage ein paar Stunden dorthin zu gehen.
Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut (macht ja auch Sinn), beginnt mit dem Aufstieg der Nazis und endet damit, wie es für die Juden nach dem Holocaust weiterging (geht also darüber hinaus, was normalerweise gezeigt wird). Da mich das Thema schon immer sehr interessiert hat, gab es vieles, was ich schon wusste und kannte. Aber es gab auch völlig neues, so zum Beispiel antisemitische deutsche Kinderbücher oder Gesellschaftsspiele, über die man nur den Kopf schütteln kann. In letzterem war derjenige der Gewinner, der die meisten Juden aus der Stadt trieb. In einem der Bücher ging es um ein Mädchen, das krank ist, aber nicht zum Arzt gehen will, weil er Jude ist.
Absolut abgedreht und einfach krank fand ich die Geräte, Farbtafeln u.Ä., die verwendet wurden, um Menschen als Juden zu identifizieren. (Fotografieren war nicht erlaubt, ich nehme an, damit Bilder nicht missbraucht werden, aber ich habe eins im Internet gefunden, das auch in Yad Vashem ausgestellt ist.)
Einfach nur krank: Gerät, um die Nase zu vermessen und so festzustellen, ob der Mensch jüdisch ist.
Diese Gedenkstätte war die erste, die ich außerhalb Deutschlands besucht habe. Der große Unterschied war, dass viel mehr auf die Juden in ganz Europa, zum Beispiel in den Niederlanden, Frankreich oder Polen anstatt nur in Deutschland eingegangen wurde. Gut fand ich auch, dass die anderen Opfer der Nazis – Zigeuner, Behinderte und Kranke, politische Gegner – ebenfalls Erwähnung fanden. Natürlich nicht in großem Umfang, aber immerhin. Da sich Yad Vashem in Israel befindet, wäre es ja vorstellbar gewesen, dass es ausschließlich um die Juden geht. Interessant war außerdem ein Teil, der sich mit den jüdischen Untergrundkämpfern beschäftigte.
Folgende Gedenktafel ist mir aufgefallen:
Genauer gesagt der letzte Teil “and those who died sanctifying the name of God”. Das ist eine Sicht auf den Holocaust, die man in deutschen Gedenkstätten glaube ich nicht findet. Dort sieht man die umgekommenen Menschen als reine Opfer. Als ich diese Inschrift gelesen habe, hörte es sich aber eher nach Märtyrern an, die für Gott gestorben sind. Aber es sind doch auch so viele Juden ermordet worden, die noch nicht mal gläubig waren. Fand ich also irgendwie seltsam.
Negativ aufgefallen ist mir eine Riesengruppe von ich schätze mindestens hundert Soldaten (immerhin ohne Waffen), die die Ausstellung besuchten. Nur ein paar Gehminuten von Yad Vashem entfernt befindet sich eine Kaserne oder sowas in der Art und anscheinend ist es Teil der Ausbildung oder was auch immer, die Gedenkstätte zu besuchen. Aber können die da nicht wengstens in Zivil aufschlagen?
Aufgestoßen ist mir auch, dass man am Ende der Ausstellung, in der einem die Greueltaten an den Juden in allen Einzelheiten erklärt werden, ins Freie tritt, und zwar auf eine Plattform, von der aus sich einem der Blick auf Jerusalem öffnet. Was soll das dem Besucher sagen? “Die Juden haben so viel erlitten, dieses Land und diese Stadt ist ihr Happy End und steht ihnen zu”? Wird der Holocaust hier instrumentalisiert?
Ich finde es auch bedenklich, dass die Soldaten hierher gebracht werden. Solche Sachen sollte man in der Schule lernen, finde ich. Besucht man diese Gedenkstätte im Rahmen der Soldatenausbildung (ich nehme an, dass es im Rahmen der Ausbildung geschieht, ich weiß es nicht) hat es für mich eher was mit Indoktrination zu tun: “Siehst du, das macht man mit uns, wenn du unser Volk nicht verteidigst”.
Wenn ich eine Ausstellung über den Holocaust in Deutschland besuche, ist alles so klar: es ist erschütternd, vieles ist unfassbar, fast alles ist absolut grauenhaft. Die Ausstellung in Israel zu besuchen, hat gemischte Gefühle in mir hervorgerufen. Natürlich wird das Grauenhafte durch nichts relativiert, aber dieses Mal habe ich manche Dinge mit anderen Augen gesehen, allen voran die Schilder wie “Zutritt für Juden verboten”, “jüdisches Geschäft” usw., nämlich vor dem Hintergrund dessen, was die Israelis heute mit den Palästinensern machen (siehe Bericht über Hebron). Dazu kam das Gefühl, dass der Holocaust womöglich (wenn auch in geringem Maße) instrumentalisiert wird. Ich muss gestehen, dass Wut in mir aufgekeimt ist.
Kleiner Einschub zum Thema “jüdisches Geschäft”: Es gibt Geschäfte in Jerusalem (und wahrscheinlich in ganz Israel), die keine Araber beschäftigen. Eine idiotische jüdische Vereinigung hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Geschäfte zu finden und ihnen ein Zertifikat zu verleihen, dass dem Kunden versichert, dass in diesem Geschäft keine Araber arbeiten. Das kann der stolze rassistische Ladenbesitzer dann aufhängen und rechte Kunden damit anziehen.
Gleichzeitig ist es natürlich so, dass einem während der Ausstellung der Gedanke kommt, dass die Juden nach all diesen Erlebnissen ihr eigenes und sicheres Land verdienen. Dass man versteht, warum sie so große Angst vor ihren Gegnern haben und so extreme Schutzmaßnahmen gegen sie ergreifen, weil sie nämlich befürchten, dass sich so etwas wie der Holocaust wiederholt. Und somit hat mich dieses Land wieder in einen inneren Konflikt gebracht und damit das erfüllt, was ich mir von meinem Besuch hier erhofft habe. Dafür bin ich dankbar.
Als ich nachdenklich, traurig, mit meinen widersprüchlichen Gefühlen beschäftigt und mit den Gedanken an die Sinnlosigkeit von Krieg und Hass die Gedenkstätte verließ und die Straße zur Metro rauf ging, kamen mir zwei Soldaten entgegen, beide schwer bewaffnet. Es war ein frustrierender Anblick – die Menschheit lernt einfach nicht.
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